"Worte" | Gruppenausstellung | Augustinerkloster Gotha| 2013

WORTE. Katja Hochstein und Anke Stiller
im Augustinerkloster Gotha

Laudatio anlässlich der Ausstellungseröffnung
am 07. September 2013

Worte können verschiedene Formen, Bedeutungen und Funktionen annehmen. Wir nutzen sie als Kommunikationsmittel, wir können sie als Appelle, Informationsträger, als Gedankenstützen, etc. verwenden, wahrnehmen und verstehen. Im Grunde sind Worte zeichenhafte Konkretisierungen unserer Gedanken, Hoffnungen, Wünsche und Träume. Von daher „sprechen“ sie uns auf ihre ganz spezifische Weise an.

In der Ausstellung WORTE, die wir heute feierlich eröffnen, werden einerseits raumgreifende Installationen und andererseits kleinteilige, serielle Arbeiten von den Künstlerinnen Anke Stiller und Katja Hochstein präsentiert, die sich für den Betrachter in den zum Teil verwinkelten Räumen des Augustinerklosters auch – wortwörtlich – über Umwege erschließen. In ihren bildkünstlerischen- konzeptuellen Werken können wir ganz unterschiedliche Umsetzungsformen erleben, die sich der Verschränkung bzw. dem Spannungsfeld von Text und Bild widmen.
Beide Künstlerinnen integrieren nicht nur Worte bzw. Textausschnitte oder Slogans in ihren Arbeiten, sondern nutzen geschriebene Worte als Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Auseinandersetzung. Dabei interessiert sie die Verbindung von Sehen, Verstehen und Erkennen sowie die Ambivalenz zwischen der Macht der Worte und ihrer Nichtgreifbarkeit, ihrer eigentlichen Dinglosigkeit. Einerseits bilden Text und Bild eine Einheit, auf der anderen Seite sind die Worte aber auch für sich eine eigene Dimension innerhalb des Kunstwerks.

Wie häufig blicken wir nach oben, wenn wir um etwas bitten und auf die Erfüllung unserer Wünsche hoffen. Diesen Blick nach oben transformiert Katja Hochstein in ihre Zeltinstallation THE FUTURE CAME YESTERDAY von 2009/2013. Zwischen zwei Wänden des Kreuzgangs spannt sich ein giebelförmiges Zelt auf, das nach unten hin offen ist und durch das wir als Betrachter hindurchgehen können. Wenden wir unseren Blick nach oben, auf das innere des Zeltdaches, sehen wir zum Teil bruchstückhafte Schriftzeichen und Symbole.
Erst wenn wir unsere Seh- und Lesegewohn-
heiten der jeweiligen Anordnung der Zeichen angepasst haben, erschließt sich für uns der Gehalt der jeweiligen Sinnsprüche. Die physische und kognitive Teilhabe des Betrachters werden dabei von der Künstlerin ganz bewusst herausgefordert. Die Öffnung und der gleichzeitig schutzbietende Raum des Kreuzgangs mit seinen schmalen Pfeilern steht in einem Spannungsverhältnis zu dem schutzbietenden Dach des Zeltes, das in seiner Leichtigkeit, seiner lichtdurchlässigen Transparenz und seiner beidseitigen Öffnung ebenfalls offen steht. Das Wahrnehmen von Außen und Innen, von Oben und Unten sowie von Bild und Text wird auf sehr differenzierte Weise in ihren Arbeiten evoziert.

Seit jeher arbeitet die Malerin, Grafikerin und Objektkünstlerin mit den Phänomenen von Schrift in einem kulturell-philosophischen Kontext.
Im hinteren Bereich des Mittelschiffes in der Kirche sehen wir eine fast schon schwebende Installation von Katja Hochstein, die in ihrer poetischen Gestaltung an einen Baldachin erinnert. Durch den netzartigen, lichtdurchlässigen hellen Stoff, der sich wie eine feine Hülle um das Innere spannt, blicken wir wie auf einen Kubus aus vier miteinander verbundenen weißen Blättern. Auf diesen Blättern werden zu allen vier Seiten kurze Zitate des literarischen Werkes „Blüthenstaub“ von Novalis präsentiert. Diese Sammlung von Fragmenten und Aphorismen wurde 1798 in der Zeitschrift Athenäum publiziert.

Auf der Textebene lesen wir vom Unbedingten und Dingen, von der Welt des Inneren und Äußeren, vom Suchen und Orientierung finden. Genau diese Dialektik übersetzt sie auf die Gestaltungsebene: Die äußere Schicht ist Hülle und Fenster zugleich. Der Blick auf das Innere, auf den Kern, die Worte, die scheinbar langsam verblassen oder nur zu erahnen sind, ist hier immer auch ein Blick auf uns zurück.
So wie das gesamte Werk nicht greifbar ist, wie Worte nicht greifbar sind, so erschaffen wir – als Besucher – eine Realität in unserem Wahrnehmen, im Umschreiten und im Verstehen. Wie in der Zelt-Installation im Kreuzgang arbeitet sie auch hier mit dem Spannungsverhältnis von Fläche, Raum, Text und Hülle, über die wir wie über unsere Haut wahrnehmen können und die eine eigene Realität besitzt.
Das Stoffliche, das Materielle wird in einen eigenen Erfahrungsraum transformiert, in dem Wahrnehmungs- und Erkennensprozesse stattfinden.

Die Künstlerin untersucht auch in den kleinformatigen Arbeiten in der Sakristei immer wieder das Verhältnis von Materiellem und Immateriellen, dem Eigenen und Fremden, die Frage nach Identität und Zuschreibung. Sie untersucht dabei auch die gesellschaftlichen Bedeutungszuschreibungen von Farbe und Text. Scheinbar banale Worte werden in die frische Magenta-Farbe eingraviert und gleichzeitig dadurch überhöht. Farbe, Text und Bild unterliegen seit jeher kulturellen Normen und Lesarten und haben immer mehrere Bedeutungsebenen, die wir als Betrachter wiederum mit differenzierten Assoziationen, Erinnerungen und Sinngebungen verknüpfen.

Insgesamt müssen wir uns in der Anschauung der Werke Katja Hochsteins die Sicht auf die Dinge und Schriftstrukturen erarbeiten; wir sind herausgefordert die einzelnen Sinnebenen aufzudecken. In dieser Hinsicht sind ihre Arbeiten stets dialektisch, das eine greift auf das andere zurück, das eine geht in das andere über. Wahrnehmen und Erkennen, das Geistige und das Materielle, Wort und Bild gehen in ihren Arbeiten ein komplexes Wechselspiel ein.

Elisabeth Rentsch M. A., Kunsthistorikerin

"words" | group exhibition | augustiner monastry gotha | 2013

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