Romantik in abstrakten Kreisen.
Zu Johann N. Netroys "Lumpazivagabundus"
Was bewegt eine bildende Künstlerin zu einer Beschäftigung mit der Posse Lumpazivagabundus? Ich setzte mich mit diesem Stück in einem Grafik-Zyklus (umfasst 35 Tuschezeichnungen auf Papier) in abstrakter und figuraler Geste auseinander. Das Stück kann als zeitlose Auseinandersetzung mit der europäischen Romantik begriffen werden, die als Inbegriff der Suche nach Glück und Wohlstand gilt. Die Handlung des volkstümlichen Stücks lässt sich ohne weiteres in das heutige, „mythenfreie“ Leben übertragen. Mich reizte an dieser Zauberposse der Facettenreichtum der Handlungsebenen, welche ich in meine grafischen Arbeiten habe einfließen lassen. Gebeutelt vom Aberglauben und von moralischer Diskrepanz versuchen sich drei unterschiedliche Charaktere aus dem einfachen Volk mehr schlecht als recht durch ihr Leben zu manövrieren. Sie werden von moralischen Bedenken gequält und vom hoffnungslosen Glauben an übernatürliche Erscheinungen und an das Schicksal. Die Mystifizierung des Ursprünglichen findet sich noch heute.
Dieser Ursprungsgedanke ist eine philosophische Grundhaltung in vielen Theaterstücken Nestroys. Zwar skizziert Nestroy das einfache Leben, doch er steigert es in eine opulente Mannigfaltigkeit der Sprache und eine schiere Unerschöpflichkeit von Sprachbildern. Die Zeitlosigkeit der „Droge“ Glück wird noch im gegenwärtigen Medienzeitalter greifbar. Wie ein scheinbar „böser Geist“, hier versinnbildlicht in der Figur Lumpazivagabundus, durchstreifen die menschlichen Sinne die Höhepunkte und Abgründe des eigenen Daseins. Kulturell gesehen könnte man behaupten, die Sehnsucht nach einem „Allheilmittel“ für die Welt (Welten) stellt für den Menschen immer eine unerreichbare Grundvision dar. Ob nun religiös eingekleidet, politisch versinnbildlicht oder kulturell dargestellt: immer scheint das Wichtigste für den Menschen das Glück und das Streben nach Visionen zu bleiben. Dies ist sozusagen der Motor für die Herausbildung menschlicher Kultur. In meinem grafischen Zyklus zu dieser Thematik knüpfe ich direkt an Nestroys Lumpazivagabundus an. Die Irrungen und Wirrungen des Strebens nach Glück und Erkenntnis sind bleibende Ideale. Mit grotesken und figuralen Gesten versuche ich diese allgegenwärtige Lebensthematik dem Betrachter auf eine eindringliche und unspektakuläre Art zugänglich zu machen, und zwar in Form eines für die Renaissance typischen Bildformates, des Kreises. Ausgehend von Nestroy wird damit die Zeitlosigkeit der Thematik von Glück und Schicksal versinnbildlicht.
Katja Hochstein 2013
no text in english available.